Die Entwicklung des Schleifsteinhauergewerbes in Neidenbach
Dadurch konnte das Dorf überhaupt erst seine Bedeutung als zentraler Steinhauerort
erlangen; viel stärker als ähnliche Orte ist er durch die Steinhauerei geprägt. Von der
einst regen Gewerbetätigkeit ist allerdings kaum etwas geblieben. Zur Zeit unserer
Erhebung (1970) gab es noch einen Schleifsteinbruch mit drei Beschäftigten, 3 Betriebe
mit 1-2 Arbeitskräften, in denen man heute hauptsächlich Rohblöcke durch Sprengung
gewinnt - davon werden zwei in Kürze schließen -, 1 Schleifsteindreherei für kleine
Glas- und Mähmaschinenschleifsteine, die bereits stillgelegt ist, und schließlich mit 12
Steinhauern einen modernen Steinmetzbetrieb für Wegeplatten und -verkleidungen. Hier wird
auch Hauwerk zur Restaurierung denkmalgeschützter Bauwerke hergestellt. Viel auffälliger
sind andere Merkmale wie die 50 stillgelegten Steinbrüche in der Gemarkung der Gemeinde,
die vielen sandsteingestickten Fuhrwege und die zahlreichen Steinhauerhäuser, die das
Ortsbild bestimmen. In der Glanzzeit der Steinhauerei waren allein aus dem Dorf 300
Kaulemänner - so wurden die Steinhauer genannt - in den Steinkaulen beschäftigt, das war
nahezu 1/3 der Bevölkerung.
Auch im Dorfleben ist dies immer noch festzustellen. Da die vielen früher im Schleifsteinhauergewerbe
gebundenen Arbeitskräfte heute keine Beschäftigung mehr finden können, stellen wir
neben allen Konsequenzen, die der Feierabendaufenthalt im Dorf hat, eine außerordentlich
große Anzahl von Auspendlern fest. Sehr häufig ist die bei den meisten Steinhauern
übliche Kleinlandwirtschaft beibehalten worden, auch wenn sie nur ausreicht, wie früher
1-2 Schweine für den eigenen Bedarf zu mästen. Bei den Auspendlern muß die Arbeit nach
wie vor von Frauen und Kindern getan werden. Unter den älteren männlichen Einwohnern
fällt die verhältnismäßig große Anzahl von Invaliden auf. Sie leiden an Silikose, die
auch bei den Steinhauern häufig auftrat, oder an Rheuma in den Beinen, das sich vor allem
die Schroter beim Ausschroten der Schleifsteine zuzogen, wenn sie tagelang bis zum
Oberschenkel im Schrotgraben stehen mußten. An die Trinkgewohnheit der
"Kaulemänner" erinnern die 4 Gastwirtschaften im Ort, die sich eines regen
Besuchs erfreuen. Immer spricht man noch gerne dem Trester zu, der von den Wirten früher
fuderweise eingelagert wurde. Auch in den Familien wird dem Besucher überall
gastfreundlich Trester gereicht.
Es wäre auch noch die überaus starke Bedeutung der Dorfgemeinschaft zu nennen. Sie ist
zunächst durch das lebendige nachbarschaftliche Denken bestimmt, das alle sozialen
Unterschiede überwindet, welche zwischen Landwirten und Steinbrucharbeitern bestehen.
Darüber hinaus gibt es eine alles umfassende Bindung, die von den ehemaligen
Kaulemännern getragen wird. Sie ist gekennzeichnet durch Erzählfreude und
Aufgeschlossenheit für die Angelegenheit des anderen und resultiert sicherlich auch aus
der Gleichartigkeit früheren Erlebens und Schicksals.
Die schriftlichen Quellen aus Neidenbach über die Anfänge des Sandsteinabbaus sind
spärlich, wie das für ein bäuerliches Gewerbe kaum anders zu erwarten ist. Auch gab es
bis vor dem letzten Krieg keinerlei Art von Zusammenschluß der Steinhauer, so daß
Aufzeichnungen, wie wir sie aus den Handwerksgemeinschaften kennen, fehlen. Abgesehen von
Lohnbüchern, Fuhrbüchern, Pachtverträgen usw., die zufällig verwahrt worden sind, gibt
es verstreute Nachrichten nur in der Schulchronik und in der Kirchenchronik. Hinzu kommen
aus dem Archiv der Amtsverwaltung in Kyllburg Aktenvorgänge über Schürfverträge,
Gewerbekonzessionierungen, Wegebau u.a.m. Sonst
ist man ganz auf die Berichte der alten Schleifsteinhauer angewiesen, deren Erinnerung
für exakte Daten nicht immer genau ist, sie können aber meist mit Hilfe der
schriftlichen Zeugnisse richtiggestellt werden. Dafür wissen sie aus lebendigem Erleben
zu erzählen. Oftmals decken persönliche Meinungen, Schilderungen der Lebensumstände
oder besondere Ereignisse verborgene Zusammenhänge auf, was sie für die Volkskunde
unersetzlich macht. Die übermittelten Erzählungen, Schwänke, Lebensläufe illustrieren
die sozialen Verhältnisse und die menschliche Einstellung zu den Dingen. Die Fülle des
Materials, das auf diese Weise zusammengetragen wurde, kann hier unmöglich wiedergegeben
werden. Es wird nur genutzt, wenn es gilt, die charakteristischen Merkmale des
Steinhauergewerbes hervorzuheben.
Aus der Schulchronik entnehmen wir die Darstellung der Situation in Neidenbach im Jahre
1894. Hier heißt es: "Was den Ort selbst anbelangt, so sei zu erwähnen, daß sich
die Steinindustrie seit den siebziger Jahren bedeutend gehoben hat. Damals wurde nämlich
die Trier - Kölner Eisenbahn gebaut. Nun wurde es leicht, die Sandsteine, welche zu den
verschiedenartigsten Zwecken als Bau-, Schleifsteine usw. verwandt wurden, durch die ganze
Provinz, ja über deren Grenzen hinaus zu versenden, denn Neidenhach, welches ungefähr in
der Mitte zwischen den beiden Stationen Densborn und Kyllburg liegt, ist nur 1 1/2 Stunde
von der Bahn entfernt. Der Versand der Steine bot somit nicht mehr so viele
Schwierigkeiten. Die Folge war, daß auch die Nachfrage größer und daher auch viele
Arbeiter gesucht wurden. Die meisten männlichen Personen gehen, wenn sie schulentlassen
sind, auf die Steinbrüche, wo sie bis zu 4 M je Tag verdienen.
Dem aufschlußreichen Bericht entnehmen wir zunächst, daß der Aufschwung in Neidenbach
schon kurz vor 1900 einen deutlichen Mangel an Arbeitskräften verursachte. Von diesem
Zeitpunkt an ist mit einem größeren Zuzug aus den Nachbardörfern zu rechnen. Die
schulentlassene Jugend, die früher in den reichen Bauerndörfern des Bitburger Landes als
Knechte unterzukommen suchte, fand zum größten Teil bereits Beschäftigung in den
Steinbrüchen. Daß der Schullehrer in seinen Aufzeichnungen der Steinhauerei so viel
Aufmerksamkeit widmet, beweist, wie sehr das Ortsleben schon davon erfaßt war. Aufgrund
anderer Schilderungen müssen wir uns vorstellen, daß sich morgens in der Dämmerung fast
die gesamte männliche Bevölkerung, mit dem Tragsack für Kaffeetopf und Butterbrote
ausgerüstet, auf den Weg in die Steinkaulen machte, wo sie mit der Arbeit am Fels ihren
12-Stunden-Tag ableistete. Auf den Flurwegen stießen die aus den benachbarten Orten
kommenden Trupps hinzu. Mit den schweren Steinwagen, die für die Fahrt zur Bahnstation
schon am Vorabend beladen worden waren, kamen ihnen die Fuhrleute aus den Brüchen
entgegen. Um die Mittagszeit, wenn in den Kaulen eine halbe Stunde Pause gemacht wurde,
näherten sich in langem Zug die Frauen und die hierfür vorzeitig aus dem Unterricht
entlassenen Kinder mit dem Eßgeschirr. Zum Feierabend kurz vor Sonnenuntergang wurde es
wieder lebendig im Dorf; dann kehrten die Männer von ihrem Tagewerk zurück, um sich bis
zum Einbrechen der Nacht der Arbeiten in Feld und Hof anzunehmen, die die Frauen nicht zu
Ende gebracht hatten. Neidenbach war in diesen Jahren bereits ein Schleifsteinhauerdorf.
Es ist bemerkenswert, daß im Bericht der Schulchronik für die Kaulemänner die auf den
Fabrikbetrieb hinweisende Bezeichnung "Arbeiter" gewählt ist, die in der
Ortssprache nie gebräuchlich war. Sie gliederte nach den verschiedenen Tätigkeiten, die
hier in hochdeutscher Lautung wiedergegeben sind, in:
Abräumer: hatten vor allem im Winter Erdarbeiten auszuführen,
Schroter: Steinbrecher, welche die Rohlinge aus dem Felsen schlugen,
Fertigmacher oder Schleifsteinmacher, Schleifsteinhauer: genossen das meiste Ansehen,
stellten die großen Schleifsteine her,
Steinhauer: machten Hausteine, Trüge und kleine Schleifsteinrohlinge für die Dreherei
und rückten nach einigen Jahren der Erfahrung am Stein zu den Schleifsteinhauern auf,
Kreuzelhauer: Steinmetze, welche Bildhauerarbeit ausführen konnten, sonst aber als
Schleifsteinhauer beschäftigt waren, und schließlich Kaffeejung oder Laufjung,
Hundejung: Lehrjungen, die auch Kaffee zu kochen, beim Wirt gelegentlich Schnaps und
Heringe zum Frühstück zu holen und die als Hunde bezeichneten Karren mit Steinabfällen
auf die Schutthalde zu schieben hatten.
Diese Unterscheidung, die der Einteilung in Lohngruppen entsprach, ist als Rangabstufung -
wenn man die Lehrjungen ausnimmt - aber kaum ins Bewußtsein gedrungen. Nur zwischen den
Schrotern, welche die gröberen Arbeiten verrichteten, dabei selten die Feinbearbeitung
des Steins erlernten, und den Schleifsteinhauern, von denen die tüchtigsten in hohem
Ansehen standen, wurde z.B. beim Fachgespräch ein kleiner Abstand spürbar. Die
überkommenen verwandtschaftlichen und nachbarschaftlichen Bindungen sowie die
freundschaftlichen Beziehungen und Jahrgangsgruppierungen, in die ohne weiteres auch die
aus den Nachbardörfern hinzukommenden einbezogen wurden, überlagerten die berufsmäßige
Gliederung selbst bei der Arbeit in den Steinbrüchen. Wenn man sich beim sonntäglichen
Frühschoppen im Wirtshaus, beim Kartenspiel oder bei den Kirmesgeselligkeiten traf, kamen
diese gewachsenen Gemeinschaftsbindungen unter den Männern stärker zur Geltung als die
aus der gemeinsamen Arbeit im gleichen Steinbruch, mit einer Ausnahme, auf die gleich
eingegangen wird. Auch bei Zugehörigkeit zu verschiedenen Brüchen blieben sie wirksam.
Darum konnte es auch in den Betrieben zu keinerlei Form von Betriebsgemeinschaft kommen,
selbst dann nicht, wenn dies zur Durchsetzung bestimmter Forderungen sinnvoll gewesen
wäre.
Bedingt durch das Arbeitsverfahren beim Aushauen und Fertigstellen eines Schleifsteins
ergab sich in kleinem Rahmen gewissermaßen von unten her eine ganz andere Art von
Gemeinschaft. Wenn der Fels freigelegt und der Umfang des Schleifsteins auf dessen
Oberfläche mit dem Zirkel angerissen war, begannen zunächst die Schroter mit ihrer
Arbeit. Sie mußten
den Rundling mit Hilfe der Schrothauen, das sind 8-9 Pfund schwere zweigespitzte Hämmer
an 65 cm langen Stielen, ringsherum freischlagen, und zwar so tief, wie das hei der
bestimmten Steingröße erforderlich war, bei 2,65 m Durchmesser etwa 75 cm. Das wurde in
der hinteren Felspartie durch den etwa 20 cm breiten Schrotgraben erreicht; vorne aber
mußte der Rundling mit 2/3 seines Umfangs in seiner ganzen Dicke bis zum unteren Rand
offenliegen. Hierzu brauchten die Schroter, die stets zu zweit arbeiteten, einer links,
der andere rechts herum, 2-3 Tage.
Wenn der Rundling soweit ausgehauen war, gingen - ebenfalls zu zweit - die
Schleifsteinhauer ans Werk. Sie hoben oder sprengten den runden Rohblock vom Untergrund
ab, indem sie am freigelegten unteren Rand im Abstand von 4-5 cm kleine Keile eintrieben.
Die Oberfläche des losgetrennten Steins wurde anschließend in zahlreichen Arbeitsgängen
mit verschiedenen Hämmern grob und dann fein hergerichtet, ebenso die obere Kante und bis
zur halben Höhe auch die rundumlaufende Schmalseite, ferner das runde Loch im
Steinzentrum. Der durch die Bearbeitung erheblich leichter gewordene Stein mußte dann
über die Felskante hinweg auf die Sohle des Steinbruchs hinabgestürzt und dort gewendet
werden, damit die beiden Schleifsteinhauer die andere Seite und die verbliebenen Hälften
am Rand und am Mittelloch fertigstellen konnten. Sie benötigten für die gesamte Arbeit 3
Tage.
Die beiden
Schroter und die beiden Schleifsteinhauer bildeten als Kleinstgruppe eine
produktionsfähige Einheit. Sie arbeiteten Hand in Hand und waren aufeinander angewiesen.
Noch enger mußte jedes von den beiden Paaren zusammenwirken. Der Arbeitshergang sowohl
beim Schroten als auch beim Einebnen der Flächen erforderte es, daß sich jeweils ein
Rechtert und ein Linkert, d. h. ein Rechts- und ein Linkshänder, zusammentaten. War das
nicht möglich, dann mußte einer der Rechtshänder sich in langwieriger Übung die
Arbeitsweise eines Linkshänders aneignen. Die durch jahrelanges gemeinsames Arbeiten
aufeinander eingespielten Doppelpaare waren unzertrennlich. Bei den gefährlichen
Verrichtungen des Steinabstürzens und Steinwendens mußte sich einer auf den anderen
verlassen können. Fehler, die einer von ihnen machte, trafen die ganze Gruppe. Die
Möglichkeit eines Gesprächs während der Arbeitszeit gab es auch nur in dieser
Vierergemeinschaft. So kam man einander menschlich näher. Oft wurde der Vierergruppe noch
ein Lehrling beigegeben, bei schwierigen Verhältnissen im Fels auch ein weiterer Schroter
oder Schleifsteinhauer. Sie wurden in die festgefügte Arbeitsmannschaft einbezogen. Je
größer die Anzahl der Beschäftigten in einem Steinbruch war, um so mehr solcher kleinen
Produktionseinheiten gab es. Jede hatte ihren eigenen Werkplatz. Das Verhältnis zwischen
diesen Vierergruppen war durch Konkurrenz bestimmt. Man verglich die handwerksgerechte,
saubere Ausführung der Arbeit und war bestrebt, die anderen Werkgemeinschaften darin zu
übertreffen.
Seitdem man in den Schleifsteinbrüchen in den 50er Jahren Preßlufthämmer einführte,
ist die grobe Handarbeit der Schroter wie auch der Schleifsteinhauer erheblich
erleichtert, doch an der Zusammensetzung und am Zusammenhalt dieser kleinen Werkgruppen
hat sich dadurch nichts geändert. Für die kleinen Familienbetriebe der späteren Zeit
sind sie genauso typisch wie für die großen Firmen. Fast immer erwuchsen aus der
jahrelangen engen Zusammenarbeit am Werkplatz Freundschaften, die auch außerhalb des
Steinbruchs lebendig blieben. Man lud einander zu Namenstagen ein, die mit einer Flasche
Schnaps vorab im Bruch gefeiert wurden. Auch bei den internen häuslichen Festen wie
Silberhochzeit und Kindstaufe, bei denen sonst nur die Verwandschaft geladen wird, waren
die Arbeitskollegen in der Regel zugegen. Es sind Fälle bekannt, in denen sie einander
Patenschaft und Bürgschaft leisteten. Solche Freundschaften werden heute noch unter
ehemaligen Steinhauern gepflegt, selbst wenn sie nicht im gleichen Ort wohnen, oder wenn
sie schon lange Rentner sind.
Die vorher geschilderte grob differenzierende Unterteilung nach Fachgruppen spielte
dagegen im Zusammenleben kaum eine Rolle. Sie konnte sich natürlich nur in den großen
Steinbruchbetrieben mit zahlenmäßig starker Belegschaft herausbilden, wo sie wegen der
Lohnabstufung notwendig war. Der Vollständigkeit halber muß hier auch der Kaulenschmied
genannt werden, der die Steinhauerhämmer gebrauchsfertig zu halten hatte. Der
Sprengmeister dagegen wurde nur für gelegentliche Sprengungen zugezogen, gehörte also
nicht der Belegschaft an.
In diesen großen Steinbrüchen kannte man noch eine weitere Gliederung, die scharfe
soziale Rangstufen kennzeichnete. Von den Kaulemännern - als Sammelname für die
Gesamtheit der in einem Steinbruch Beschäftigten wurde auch die Bezeichnung Steinhauer
gebraucht - hoben sich der Kaulen- oder Bruchmeister und der Kaulenherr ab. Die
Kaulenmeister, die anfangs aus den älteren Steinhauerorten an der Kyll zugezogen wurden
und im Ort Wohnung nahmen, später aber aus der Belegschaft kamen - man wählte hierzu die
umsichtigsten Schleifsteinhauer aus - standen den Brüchen als Betriebsleiter vor. Sie
bestimmten und überwachten den Arbeitseinsatz, sorgten dafür, daß die Bestellungen
erledigt und die Lieferungen mit Fuhrzetteln und Frachtbriefen abgefertigt wurden,
führten die Lohnliste und zahlten den Lohn aus. Sie nahmen im Steinbruch die
"Herrgottsstelle" ein und waren nicht selten als Antreiber schlecht gelitten.
Als besondere Vergünstigung stand ihnen das Steinbruchgelände fürs Vieh zu, das ihre
Kinder oder Frauen zum Weiden dorthin treiben durften.
Die Kaulenmeister mußten den Kaulenherren, den Steinbruchsunternehmern oder -besitzern,
in regelmäßigen Abständen Rapport geben. Soweit es sich um auswärtige
Steinbruchbesitzer handelte, die bis in die Jahre nach dem 1. Weltkrieg in Neidenbach mit
ihren produktionsintensiven und expansiven Betrieben vorherrschen, waren es ausnahmslos
Großunternehmer. Sie unterhielten im Eifeler Sandsteingebiet, in der Pfalz und sogar in
Tirol weitere Steinbrüche, hatten an den Bahnstationen im Kylltal sowie in Solingen oder
Remscheid große Schleifsteinlager, wo sich auch meist der Geschäftssitz befand, und
betrieben von hier aus den Schleifsteinhandel. Wenn sie in Neidenbach zu tun hatten,
stiegen sie gewöhnlich im Kurhotel zu Kyllburg ab, wo sie den Rapport der Betriebsleiter
entgegennahmen. Betriebsorganisation und Betriebsstruktur in den betreffenden
Steinbrüchen wurden natürlich durch diese Gegebenheiten bestimmt.
In den kleineren Familienbetrieben der späteren Zeit sah es völlig anders aus. In ihnen
arbeiteten die Steinbruchunternehmer oder -pächter unter den wenigen anderen Steinhauern
selber mit. Sie waren Kaulenherr und Kaulenmeister in einer Person. Die Bezeichnungen
wurden für sie allerdings nicht mehr gebraucht. Die anfallenden Arbeiten wurden nach
Können und Fertigkeit von allen gemeinsam ausgeführt, wobei der Inhaber des Steinbruchs
die schwersten und schwierigsten Dinge in der Regel auf sich nahm. Die Schreibarbeiten
wurden nicht selten von den Frauen daheim erledigt. Eine Aufgliederung der Beschäftigten
und eine unterschiedliche Klassifizierung nach Tätigkeit und Lohn, wie sie oben dargelegt
wurde, war hier nicht mehr üblich. Wenn man zur Bestimmung von Beruf und Tätigkeit einen
Ausdruck gebrauchte, so wählte man allgemein die Bezeichnung Steinhauer. Niemals jedoch
haben sich in Neidenbach die Männer, die in den Steinbrüchen arbeiteten, als Arbeiter
verstanden, auch nicht früher in den Großbetrieben. So sehr sie die Steinhauerei
schätzten, fühlten sie sich doch in erster Linie als Bauern, die das bare Geld in den
Steinbrüchen zuverdienten. Das gilt auch für die heute noch tätigen Steinhauer, außer
für diejenigen, die in dem modernen Steinmetzbetrieb arbeiten. Bis zuletzt kauften die
Steinhauer nach Möglichkeit Land hinzu, um ihre kleinen landwirtschaftlichen Betriebe zu
vergrößern. Selbst bei den älteren Neidenbachern, die seit Jahren auswärts zur Arbeit
gehen, ist das vielfach noch so. Eine Anderung zeichnet sich erst bei der Generation der
20-25jährigen ab. Einige ehemalige Steinhauer haben ihr Anwesen auf diese Weise derartig
vergrößert, daß sie seit Stillegung der Brüche davon leben können.
In der Schulchronik ist die Bezeichnung "Arbeiter" wahrscheinlich nur unter dem
Eindruck der damals charakteristischen Großbetriebe und der in ihnen herrschenden
Arbeitsverhältnisse gebraucht.
So sehr sich durch die Steinhauerei auch der Ablauf des täglichen Lebens im Dorf und die
Erfahrungswelt des einzelnen änderten, hatte dies doch kaum Einfluß auf die innere
Einstellung der Menschen. Auch gibt es keine brauchtümliche Erscheinung, die eindeutig
durch das Steinhauergewerbe geprägt wäre, vielmehr wurden die im Dorf bereits
vorhandenen Formen fortgeführt. Der Barbaratag z. B., der von den Steinhauern als ihr
Festtag gefeiert wird, galt schon viel früher zu Ehren der hl. Barbara als zweiter
Kirchenpatronin bei der Bruderschaft von der Todesangst als Tag des Meßopfers und
Gebetes. Die Steinhauer, die an diesem Tag bis heute eine Messe für die Mitglieder ihres
Berufsstandes lesen lassen und sich anschließend im Wirtshaus treffen, konnten keine
neuen Formen hinzufügen.
Die Verhältnisse in den Steinbrüchen im Jahre 1894 werden in der Schulchronik auch mit
dem Ausdruck "Steinindustrie" umrissen. Um diese Zeit eröffnet ein Remscheider
Schleifereibesitzer und Steinhändler ein neues Großunternehmen mit zunächst 60
Steinhauern. Vier weitere von ähnlichem Umfang waren im vorausgegangenen Jahrzehnt
entstanden und hatten sich gut entwickelt. Es handelte sich um Gründungen eines
Kyllburger Baumeisters, eines ehemaligen Schiffers aus Königswinter, der sich auf den
Schleifsteinhandel verlegt hatte, und zweier Steinhändler aus dem Bergischen Land. Damals
wurden auf den Bahnstationen Kyllburg und Densborn schon täglich mehrere Waggons
Schleifsteine verladen. Wie vermerkt ist, produzierte man jedoch nicht nur Schleifsteine,
sondern auch Hausteine für bauliche Zwecke. Das spricht für eine rationelle Verwendung
des anfallenden Steinmaterials. Beim Herausschroten der großen Schleifsteine bleiben
außen immer die Rundungen oder Ohren im Fels stehen, um den nächsten Rundling gewinnen
zu können, müssen diese weggebrochen werden. Als später die Schleifrutschen aufkamen,
stellte man daraus die viel kleineren Drucksteine her, und wenn es an Aufträgen hierfür
fehlte, schaffte man die Ohrenstücke als Abfall auf die Schutthalde. Die Steinhauer
schlugen sich daraus vielfach kostenlose Bausteine zur eigenen Verwendung. In den
Pachtverträgen für die Steingruben, die allerdings erst seit 1920 erhalten sind, ist
dieses Recht, das auf alle Gemeindeangehörigen ausgedehnt wurde, sogar schriftlich
festgelegt. Zur Zeit der Schulchronik waren Drucksteine noch nicht in Gebrauch. Man gab
die Ohrenstücke jedoch nicht zum Abfall, sondern war bedacht, sie gewinnbringend zu
verwerten, indem man daraus Bausteine für den Verkauf herstellen ließ. Da solche Steine
im Vergleich zum Arbeitsaufwand nur einen Bruchteil des Preises bringen konnten, der mit
Schleifsteinen zu erzielen war, kann man annehmen, daß es dabei gar nicht um den Gewinn
ging. Vielleicht wollte man die unerfahrenen Steinhauer nur durch einfachere Arbeiten mit
den Steinbearbeitungstechniken vertraut machen. Nach Lage der Dinge muß es damals in
Neidenbach noch an qualifizierten Steinhauern gefehlt haben.
Die Steinbrüche in diesen Jahren waren tatsächlich technisch so gut eingerichtet, daß
man von Industriebetrieben sprechen kann. Von der Felswand und vom Hang über den Felsen
führten Kleinbahngleise für Loren oder Hunde bis zur Schutthalde. Mit ihnen wurden
Abraum und Steinabfall beiseite geschafft. Vor der Bruchkante des in mindestens 50 m
Breite angegangenen Sandsteins befanden sich die Werkplätze für die 10 bis 20
Steinhauergruppen. Hinter ihnen war die breite Laderampe für die Pferdefuhrwerke
errichtet, an der gleichzeitig mehrere Steinwagen beladen werden konnten. Um die einige
Tonnen schweren Schleifsteine dorthin schaffen zu können, gab es eine Erdwinde mit
starker Untersetzung. Damit zog man die auf Rollen gesetzten Steine die Rampe hoch. Es
gibt heute manche Steinbrüche, die längst nicht so modern ausgestattet sind. Dazu
gehören die kleinen Familienbetriebe in Neidenbach.
Wir kommen zum letzten Mal auf die Schilderung in der Schulchronik zurück. In ihr wird
das blühende Steinhauergewerbe jener Zeit mit dem der 70er Jahre verglichen und
festgestellt, daß sich die Steinhauerei seitdem "bedeutend gehoben" habe.
Demnach müßte es bereits zwischen 1870 und 1880 von nennenswertem Umfang gewesen sein,
was jedoch unmöglich stimmen kann. Wahrscheinlich war der Lehrer mit den Gegebenheiten
nicht ganz vertraut. In Berichten, die in mehreren Versionen erzählt wurden und fast
schon sagenartigen Charakter gewonnen haben, wird die Erinnerung an einen Landmesser
bewahrt, der in Neidenbach die erste Schleifsteingrube angelegt hat. Er war beim Bau der
Eisenbahnlinie Trier - Köln beschäftigt, die 1873 in Betrieb genommen wurde. Während
der Arbeiten an der Kylltalstrecke hatte er in einem Neidenbacher Bauernhof Quartier
genommen und auf den Gängen durch die Gemarkung erkannt, daß hier der Sandstein unter
einer dünnen Erddecke leicht zu gewinnen war. Er stammte aus Gondorf, wo damals schon
Schleifsteine hergestellt wurden und war daher mit der Schleifsteinhauerei vertraut. Als
es nach Fertigstellung der Eisenbahnlinie auch Abfuhrmöglichkeiten gab, kam er 1875 nach
Neidenbach zurück. Vom Kylltal hoch führte er in seinem Rucksack die wichtigsten
Steinhauerwerkzeuge mit, darunter den 50 Pfd. schweren "Kompaß", den kleinen
Steinrundling, der zum Ermitteln der ebenen Flächen unerläßlich ist. Nach einem Jahr
Arbeit mit einigen angelernten Männern aus Neidenbach konnte er die ersten Schleifsteine
an Händler aus Oberhausen und Königswinter verkaufen.
Die Urenkel dieses unternehmungsfreudigen Landmessers leben noch heute in Neidenbach. Der
eine ist Inhaber eines Zweimannbetriebes, in dem Rohblöcke für die Bildhauerei und zur
Plattenherstellung gewonnen werden. Der andere ist pensionierter Bruchmeister und hat als
Schleifsteinhauer mitgeholfen, als die Arbeitsverfahren im Film festgehalten wurden. Es
hat diesen Mann, der die Schleifsteinhauerei in Neidenbach einführte, also wirklich
gegeben. Und es ist wahrscheinlich auch richtig, daß es hier keine handwerklichen
Vorformen gab, sonst hätten die Gerätschaften nicht mitgebracht zu werden brauchen. Doch
mit dieser ersten kleinen Schleifsteinhauerei - in vielen Dörfern des Eifeler
Sandsteingebiets gab es solche - war noch nicht der große Durchbruch erreicht. Da die
beiden Händler hauptsächlich kleine Schleifsteine an die Schmiede und Bauern verkauften,
der eine in den Ostgebieten und der andere im Rheinland, ist es fraglich, ob damals schon
die großen Rundlinge produziert wurden, welche die Schleifer im Bergischen Land
benötigten. Beide Händler legten übrigens gegen Ende der 70er Jahre eigene kleine
Steinbrüche an, für die sie Schleifsteinhauer aus dem Kylltal herbrachten.
Die entscheidende Wendung kam erst in der Mitte der 80er Jahre, als die
Schleifsteinhändler aus Remscheid in Neidenbach erschienen. Im Bergischen Land war damals
das Sensenschmiedehandwerk zugrunde gegangen, und man war auf breiter Basis dabei, sich
auf die Herstellung von Werkzeugen aller Art zu verlegen. Hierfür wurden in Massen
Schleifsteine mit besonderen Eigenschaften gebraucht, die man im relativ günstig
gelegenen Neidenbach in abbauwürdiger Lage fand. Die Händler, zu denen bald auch
Unternehmer aus Solingen und Kyllburg kamen, begannen dem Bedarf entsprechend gleich mit
Großbetrieben. Auch dafür war die Situation in Neidenbach besonders günstig, da hier
der alte Stockwald nicht aufgeteilt worden war, so daß große, zusammenhängende
Parzellen gepachtet werden konnten. Der Schleifsteinbedarf steigerte sich nach 1900 durch
die beginnende Aufrüstung derartig - allein die Firma Krupp benötigte zum Schleifen von
U-Boot-Stahl monatlich über 50 große Schleifsteine -, daß man ihn trotz der
leistungsfähigen Großbetriebe nur mit Schwierigkeiten decken konnte. So boten sich
Möglichkeiten für weitere Steinbruchunternehmen. Sie wurden nun von einigen Bauern aus
Neidenbach genutzt, die ihre Brüche meist auf eigenem Land anlegten und daher billiger
produzieren konnten, weil die Pachtabgaben entfielen. Sie betrugen damals immerhin 6 Mark
pro cbm, und die großen Schleifsteine hielten allein 3 bis 4 cbm.
In dieser
Zeit erreichte das Steinhauergewerbe in Neidenbach seinen ersten Höhepunkt. Das Dorf und
die ganze Umgebung lebten von der Schleifsteinproduktion. Der Rückschlag nach dem Krieg
führte zu einem vollständigen Zusammenbruch, nicht nur, weil die Rüstungsindustrie ganz
ausfiel, die den Großteil der Schleifsteinerzeugung abgenommen hatte. Auch dem
Kleineisengewerbe im Bergischen Land mangelte es an Arbeit, so daß die Schleifereien
zeitweilig stillgelegt werden mußten. In den schlimmsten Jahren von 1920 bis 1928 gaben
die meisten Großunternehmer ihre Steinbrüche auf, weil die Unterhaltung zu teuer wurde.
Die Schleifsteinhauer waren längst entlassen worden. Für sie gab es in Neidenbach und
Umgebung keinerlei Erwerbsmöglichkeit. Daß einige von ihnen sich zusammentaten, um in
den leer stehenden Brüchen wieder Schleifsteine herzustellen in der Hoffnung, sie
verkaufen zu können, war nichts weiter als ein Akt der Not. Man brachte die ersten Steine
mit Fuhrwerken ins Bergische Land, wo sie Abnehmer fanden. Damit war ein neuer Anfang
erreicht. Seit 1925 mehrten sich die Pachtanträge bei der Amtsverwaltung. Aus ihnen ist
zu ersehen, daß es sich fast ausschließlich um Kleinstunternehmen mit 2 bis 4
Steinhauern handelte. Als der Absatz sich allmählich steigerte, entstanden über ein
Dutzend solcher Betriebe, die häufig von Mitgliedern einer Familie eingerichtet und
unterhalten wurden. Während der zweiten Hochkonjunktur in den 30er Jahren fanden noch
einmal alle Neidenbacher Steinhauer Arbeit in diesen kleinen Steinbrüchen, bis das
Kriegsende wieder die ganze Produktion stillegte. Zu einem neuerlichen Aufschwung ist es
nicht mehr gekommen, da sich nun das Verbot der Natursteinverwendung voll auswirkte.
Die zahlreichen kleinen Steinbruchunternehmen der letzten Zeit, von denen einige auch von
Mitgliedern der durch langjährige Zusammenarbeit am Werkplatz geformten
Schroter-Schleifsteinhauer-Gemeinschaften betrieben wurden, die oben beschrieben worden
sind, bedeuten gegenüber den früheren Großunternehmen eine Verbäuerlichung des
Gewerbes. Von den volkskundlich interessanten Auswirkungen können hier nur einige
Merkmale aufgezählt werden: Preisgabe der unternehmerisch-hierarchischen
Betriebsgliederung zugunsten einer kollegialen; Trennung von Schleifsteinproduktion und
Schleifsteinhandel; Abhängigkeit von den Schleifsteinhändlern; Versuche, die Händler
durch direkte Beziehungen mit den Schleifern im Bergischen Land auszuschalten;
Vereinfachung des technischen Aufwandes bei der Schleifsteinherstellung; Anpassung der
Arbeitszeit an die Erfordernisse des bäuerlichen Arbeitsjahres und Versuch eines
genossenschaftlichen Zusammenschlusses der kleinen Unternehmen zur
"Arbeitsgemeinschaft Eifeler Schleifsteinhauer".
Quellenverzeichnis: Festschrift M. Zender, 1970
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